PEN begrüßt Verurteilung im Politkowskaja-Prozess, Sorge um mögliche Straflosigkeit für die Drahtzieher des Mordes

RAN 78/12

21. Dezember 2012

Bearbeitung und Übersetzung:  Jürgen Strasser

PEN International begrüßt die Mitte Dezember 2012 erfolgte Verurteilung des ehemaligen Polizeichefs, welcher 2006 Mithilfe an der Koordinierung des Mordattentats gegen die russische Journalistin Anna Politkowskaja geleistet hatte, ist jedoch darüber besorgt, dass die Drahtzieher hinter ihrer Ermordung weiterhin Straflosigkeit genießen.

Ein Gericht in Moskau verurteilte Oberstleutnant Pawljutschenkow am 14. Dezember zu 11 Jahren Gefängnishaft, nachdem er einer Verhandlungslösung zugestimmt hatte, die es ihm erlaubte, sich ohne Aussage vor Gericht schuldig zu bekennen. In einer Zeugenaussage, die Politkowskajas Familienangehörige als „politisch motiviert“ bezeichneten, nannte er zwei im Exil lebende Oppositionelle als Drahtzieher hinter der Ermordung. Die Rechtsanwälte der Familie Politkowskaja planen nun, gegen das Urteil Berufung einzulegen und eine höhere Haftstrafe für Pawljutschenkow zu fordern.

Anna Politkowskaja (1958-2006) war eine bekannte russische Aufdeckungsjournalistin und Schriftstellerin, die für ihre Reportagen über den Tschetschenien-Krieg weltweit Anerkennung gefunden hat. Zu ihren Büchern zählen Voyage en enfer. Journal de Tchétchénie (Reise in die Hölle, Tagebuch aus Tschetschenien, 2000), A Dirty War: A Russian Reporter in Chechnya (Ein schmutziger Krieg: Eine russische Reporterin in Tschetschenien, 2001) und  Вторая чеченская  (englische Veröffentlichung unter dem Titel  A Small Corner of Hell: Dispatches from Chechnya, deutsche Veröffentlichung unter dem Titel Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg, jeweils 2003). Posthum erschien die Artikelsammlung За что (auf Deutsch unter dem Titel Die Freiheit des Wortes: letzte Berichte aus einem gefährdeten Land, 2011).

Politkowskaja war ebenso eine prononcierte Kritikerin Wladimir Putins, den sie in ihrem 2004 erschienenen Buch Путинская Россия (auf Deutsch: In Putins Russland, 2005) als ein “machthungriges Produkt seiner eigenen Geschichte in den Streitkräften” bezeichnete. Viele Jahre hindurch führte ihr Werk sowohl zu Morddrohungen als auch zu heftigen Einschüchterungsversuchen, die bei den russischen Behörden aktenkundig waren.

Am 7. Oktober 2006 wurde Anna Politkowskaja im Aufzug zu ihrer Moskauer Wohnung tot aufgefunden. Ihr wurde in den Kopf geschossen, es war eindeutig ein Auftragsmord. Der Prozess gegen die drei Brüder Rustam, Dschabrail und Ibrahim Machmudow, denen die Durchführung des Mordes zur Last gelegt wurde, begann am 17. November 2008, alle drei Angeklagten wurden jedoch am 19. Februar 2009 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das Verfahren wurde damals als “grob mangelhaft” bezeichnet. Das Urteil dieses Verfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof Russlands aufgehoben, welcher die Anordnung gab, dass die drei Freigesprochenen neuerlich verhaftet werden und ihr Prozess neu aufgerollt werden musste. In der Folge wurde der ehemalige Überwachungsleiter im Moskauer Hauptdirektorat für interne Angelegenheiten Oberstleutnant Dmitrij Pawljutschenko ebenso angeklagt wie der ehemalige Polizeioffizier Sergeij Chadschikurbanow und der bereits inhaftierte tschetschenische Verbrecherboss Lom Ali Gaitukajew. Der Prozess gegen diese Verdächtigten ist noch im Laufen.

Pawljutschenko, der die Überwachung Politkowskajas organisierte und durchführte, die Dienste der drei tschetschenischen Brüder in die Wege leitete und ihnen die Tatwaffe verschaffte, nannte als angebliche Drahtzieher des Mordes an Politkowskaja den im Ausland lebenden russischen Oligarchen Boris Beresowskij und den tschetschenischen Separatistenführer Achmed Sakajew. Offizielle Untersuchungen zu deren Verwicklung in den Mord erwiesen sich als fruchtlos. Rechtsvertreter von Politkowskajas Kindern behaupten, dass für die Anschuldigungen gegen Beresowskij und Sakajew keinerlei Beweise vorliegen.

In einem Interview mit dem Komitee zum Schutz von Journalist/inn/en sagte Sergeij Sokolow, der Leiter der Rechercheabteilung der Tageszeitung Nowaja Gaseta, für die Politkowskaja jahrelang geschrieben hatte, zum gesamten Verfahren: “Wir haben immer mehr den Eindruck, dass der Gesetzesvollzug unwillens ist, zum Endpunkt der Verbrechenskette zu gelangen, weil der Drahtzieher anscheinend eine einflussreiche Person in der russischen Machthierarchie ist.“

 

Weitere Hintergrundinformationen (auf Englisch):

BBC News: http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-20726937

Committee to Protect Journalists: http://www.cpj.org/2012/12/russia-still-far-from-solving-politkovskaya-murder.php

Bitte senden Sie Appelle zur lückenlosen Aufklärung des Mordes an Anna Politkowskaja:

Bitte senden Sie Appelle an:
Präsident Wladimir Putin
Präsident der Russischen Föderation
23, Ilyinka Ulica
Moskau, 103132
Russland

Sie können Nachrichten an Präsident Putin auch über die Homepage des Kremls schicken:
http://eng.letters.kremlin.ru/ < http://eng.letters.kremlin.ru/ >

Bitte senden Sie Kopien Ihrer Schreiben an die russische Botschaft in Ihrem Land.

Für Österreich: Botschaft der Russischen Föderation, S.E. Herr Botschafter Sergey NECHAEV, Reisnerstraße 45-47, 1030 Wien

 

**Bitte kontaktieren Sie das Büro des Writers in Prison Committee (WiPC) in London, wenn Sie Appelle nach dem 31. Jänner 2013 abschicken**

Für weitere Informationen (in Englisch) kontaktieren Sie bitte: Sara Whyatt, PEN International Writers in Prison Committee, Brownlow House, 50/51 High Holborn, London WC1V 6ER; Tel.+ 44 (0) 20 7405 0338; + 44 (0) 20 7405 0338; Fax: +44 (0) 20 7405 0339; Email:
sara.whyatt@pen-international.org < mailto:sara.whatt@pen-international.org >

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